Die Theater-AG „Anonyme Exzentriker“ feiert in diesem Jahr ihr fünfzehnjähriges Bestehen. Sie ist offen für alle Schüler des Osterlandgymnasiums. Die Fünft- und Sechstklässler erarbeiten als „Anonyme Azubis“ unter der Anleitung einer erfahrenen Spielerin zurzeit eine eigene Inszenierung.
Rückblickend auf die fünfzehn Jahre Theaterarbeit stellt AG-Leiterin Katrin Zabel, Fachlehrerin für DG (Darstellen und Gestalten), Deutsch und Französisch fest, dass das aktuelle politische Geschehen stark in den Mittelpunkt gerückt ist, was Inszenierungen der jüngsten Vergangenheit wie „Die Welle“ und „Was würden Sie einpacken?“ belegen.
Dem Odysseus, Held der griechischen Mythologie, geht es in der neuen Inszenierung wie uns in der heutigen Zeit.
Da schwimmt ein Boot mit seiner Besatzung im Meer, die Wellen wogen, die Mannschaft ist erschöpft und gereizt. Odysseus will nichts sehnlicher, als nach dem Trojanischen Krieg endlich wieder mit seiner Gefolgschaft in die Heimat zurückzukehren.
Während dieser zehnjährigen Reise durchlebt und meistert er mit seiner Mannschaft auf dem Meer viele Naturgewalten und Abenteuer: so entkommt er den Kikonen, dem Kyklopen Polyphem sticht er ein Auge aus und den Gesängen der Sirenen kann er auch mit List widerstehen.
Aber sein Schicksal fordert ihn immer wieder heraus. Er muss eine Entscheidung treffen, die nicht nur sein Leben verändern wird, sondern auch das der ganzen Gesellschaft.
So wird das Theaterstück angekündigt und schaut man auf die Homepage der anonymen Exzentriker, so findet man über dem Plakat auch ein Zitat von Kübra Gümüşay „Das Schweigen im Angesicht des lauten Hasses ist eine Zustimmung!"- eine Botschaft, die zum Nachdenken anregt und unweigerlich den Leser zwingt, sich selbst zu hinterfragen.
Mit ihrem Stück „O_die_See“ wagen die Mitglieder der Theatergruppe die Gratwanderung, Mythologie und aktuelle Geflüchtetenproblematik miteinander zu verbinden.
Allein die Entscheidung, sich einer brandaktuellen Thematik zu stellen, wurde für viele Akteure tatsächlich zur einer wahren Entscheidungsfrage, denn hier geht es an die eigene Substanz und um eine ganz persönliche Frage „Wo stehe ich selbst? Wie sieht es in meinem Herzen aus und wie denkt mein Kopf?“ – es geht um Menschenwürde, Demokratie, Toleranz und Akzeptanz und verbannt Hass und Gewalt. „Es geht eine Kluft durch unsere Gesellschaft. Sie betrifft uns alle - Schule, Familie … - man kann nicht mehr wegschauen“, so eröffnete Katrin Zabel die Premiere.
Odysseus rettet einem Schiffbrüchigen das Leben, indem er ihn aufnimmt. Aber er muss in seiner Heimat erfahren, dass er mit dem Fremden, der nach einer neuen Heimat sucht, weil es seine nicht mehr gibt, nicht willkommen ist – nicht mit dem Fremden. Die Zurückweisung trifft Odysseus hart. Eine neue Suche beginnt.
Katrin Zabel meint: „Die Entscheidung, sich auch in diesem Jahr der Geflüchtetenproblematik zu widmen, war ganz allein meine. Hier bin ich auch kompromisslos, das war von Anfang an klar. Ich ahnte zudem, dass nicht jeder meiner Spieler diesen Weg mitgehen wird.“
Beide Gruppen, also auch die Jüngsten, erhielten im ersten Drittel dieses Schuljahres die Möglichkeit, Geflüchtete aus Gera näher kennen zu lernen: Bei diversen Theaterspielen kamen sich die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen näher, bauten Vorurteile ab und entwickelten ihr eigenes Verständnis für das Schicksal unserer neuen Mitmenschen. Ohne dieses vorgelagerte Projekt wäre das Stück nie so geworden, wie es jetzt ist.
Die Konzeption der Inszenierung stellte alle Theatergruppenmitglieder vor eine echte Herausforderung, denn es galt, den antiken Mythos mit der Flüchtlingsproblematik zu verbinden. Dafür gab die vorangegangene Arbeit mit den Geflüchteten wie erhofft den entscheidenden Impuls und eine Reduktion der Thematik auf die Kernfrage, an der sich unsere Gesellschaft aktuell aufreibt: Sind wir bereit, Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, aufzunehmen?
Aus diesem Grund war die Freude der Theatergruppe groß, als sie auch Alhaj Hafez, Alescheded Fadi und Alabdullah Mohamed im Publikum begrüßen konnten. Alle drei, selbst Geflüchtete, zeigten sich tief beeindruckt von der Aufführung.
Die anonymen Exzentriker spielten mit ausgesprochen hohem Engagement. Die Reise des Odysseus wurde geschickt in Szene gesetzt, Folien waren die Wellen, die Livecam erlaubte zusätzliche Effekte, die an der Videowand eingespielt wurden, die Gesänge der Sirenen wurden durch Rohre und Doppelmikrofon verstärkt und auch die Schattenspiele veranschaulichten die zahlreichen Opfer und Toten nachhaltig.
Wie kann man Angst, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Suche ausdrücken? Die Schüler schaffen es ausdrucksstark bis zur letzten Szene.
Und plötzlich erklingt Udo Lindenbergs Song von der Odyssee tatkräftig begleitet von allen Akteuren: „…Und Kinder starren von der Reeling auf das Abendrot am Horizont und sie haben Angst vor der ewigen Nacht, dass die Sonne morgen früh nicht wiederkommt. Das ist die Odyssee, Odyssee und keiner weiß, wohin die Reise geht Odyssee, Odyssee weil der Wahnsinn am Steuer steht.“
Elke Kolodzy